Chaos im Geschenkeland
mit freundlicher Genehmigung von Ulrike Stegemann
"Klong!" Der gläserne Zauberstab vibrierte. Glitzerndes Pulver rieselte aus der Spitze auf den Boden hinab. Ein magischer Nebel entstand und formte die Umrisse einer kleinen Puppe.
Die Zauberfee nickte. "Ja, mein alter Freund, wir können es noch immer!"
Sie hob die Puppe vom Boden auf und stellte sie auf den Nachtschrank neben das Bett des Mädchens. Das Mädchen schlief tief und fest. Es hatte keine Ahnung von seinem nächtlichen Besuch. Die Zauberfee wusste, dass der sehnlichste Wunsch des Mädchens eine Puppe zum Spielen war. Wie würde es sich am nächsten Morgen freuen, wenn es sein neues Spielzeug vorfand! Die Fee seufzte.
Doch im nächsten Moment wurde sie aus ihren verträumten Gedanken gerissen. Helles Glockenschellen drang von draußen durch die Wände in das Haus hinein, gefolgt von einem tiefen und wohlwollenden "Hohoho ...".
Die Zauberfee wirbelte herum und flutschte mit einem Hechtsprung durch das geschlossene Fenster.
Erschrocken kreischten die Rentiere auf. Nur um Haaresbreite kamen sie vor der zierlichen Gestalt zum Stehen.
"Weihnachtsmann", sagte sie. "Ich hätte es mir ja denken können." Sie stemmte die Fäuste in die Hüften und zeigte einen verärgerten Gesichtsausdruck.
Der beleibte Mann in der Kutsche kämmte mit einer Hand seinen rauschenden Bart zurück. Er beugte sich vor, um sie von oben bis unten zu mustern.
"Zauberfee, was machst du hier?"
"Was ich hier mache?" Sie hüpfte mit einigen Flügelschlägen auf und ab. "Ich habe dem armen Mädchen ihren Wunsch erfüllt. Ich habe ihr eine Puppe als Geschenk gebracht."
Der Weihnachtsmann legte seine Stirn in tiefe Falten. "Für solche Dinge bin ich zuständig. Heute ist schließlich Weihnachten. Jedes Kind weiß, dass an diesem Tag der Weihnachtsmann kommt und Geschenke bringt und nicht die Zauberfee."
"Pah!", machte die Fee und verschränkte die Arme vor der Brust. "Das kann ich ebenso gut wie du!"
Pötzlich rumpelte es im Inneren des Hauses, als würde eine Lawine in das Zimmer des Mädchens einbrechen. Es schreckte aus seinem Schlaf hoch, riss die Augen weit auf, doch schon im nächsten Moment sank es wie betäubt auf sein Kopfkissen zurück.
Ein kleines, pummeliges und äußerst haariges Wesen wuselte mit ungeschickten Schritten um das Bett herum und verstreute dunklen Puder. Schlafpuder, wie die Zauberfee und der Weihnachtsmann wussten.
Der Weihnachtsmann zuckte mit den Schultern, als könne ihn nichts aus der Ruhe bringen. Er sah die Fee auffordernd an. "Würdest du?" Mit einer Hand deutete er in Richtung Fenster.
Sogleich flog die Zauberfee auf das Fenster zu, steckte einen Arm hinein und packte den kleinen Troll am Kragen. Ruckartig zog sie das vor Schreck kreischende Bündel an die frische Luft. Sie setzte ihn auf einem der Rentiere ab.
"Was soll das?", zeterte das kleine Wesen. "Bring mich sofort zurück in das Zimmer. Ich muss hier noch einen Wunsch erfüllen."
"Das habe ich bereits getan." Die Fee schnitt eine Grimasse.
"Was? Wieso?" Der Troll wirbelte seinen Kopf in affenartiger Geschwindigkeit von einer Richtung in die andere. "Das war mein Wunsch! Wieso?"
"Ich war schneller, du dummer Troll!"
Der Weihnachtsmann räusperte sich. "Aber, aber meine Lieben." Beschwichtigend hob er die Hände. "Ihr solltet euch nicht streiten. Heute ist Weihnachten."
Der kleine Wicht sprang auf dem Rücken des Rentieres auf seine Füße, was dem Tier gar nicht gefiel. Es quiekte und versuchte die Last abzuwerfen. Doch der Troll erwies sich als äußerst hartnäckig. Er ergriff das Geschirr und hielt sich daran fest. Grummelnd gab das Rentier nach.
"Ich bin ein Wunschtroll, und ich erfülle Wünsche. Wenn nicht an Weihnachten, wann sonst? Und da kommt diese blöde Zauberfee und stiehlt mir meine Aufgabe!"
"Du nennst mich blöd, du dummer Troll? Na, warte!" Die Zauberfee erhob ihren Stab und wollte dem Wicht einen ordentlichen Denkzettel verpassen.
Das reichte dem Weihnachtsmann nun endgültig. Er brachte die beiden zum Schweigen indem er sie erstarren ließ. In seinen alten Knochen steckte weitaus mehr Magie, als die Fee und der Troll sich jemals erträumt hätten. Reumütig senkten sie die Köpfe.
"Zum Kuckuck noch eins!", schimpfte der Weihnachtsmann. "Ihr beiden seid wirklich unmöglich. Jedes Jahr derselbe Ärger. Ich bin es leid. Gibt es einen Weg, euch zur Vernunft zu bringen?"
Ein Elf, der den Weihnachtsmann stets auf seiner Reise begleitete, krabbelte hinter dem gewaltigen Sack mit Geschenken hervor. Er zupfte seinen großen Freund am Ärmel, so dass dieser sich hinunter beugte und sich von ihm ins Ohr flüstern ließ.
"Eine gute Idee." Der Weihnachtsmann nickte, nachdem er dem Vorschlag des Elf gelauscht hatte. "Ihr beide werdet von nun an in meiner Weihnachtswerkstatt arbeiten. Dort könnt ihr so viele Geschenke herbeizaubern, wie ihr mögt, und ich werde sie anschließend an die Kinder weiter geben."
Der Troll knurrte. "Das ist alles nur deine Schuld!"
Die Zauberfee streckte ihm zur Antwort die Zunge heraus.
Einzig der Weihnachtsmann und der Elf freuten sich über ihre neuen Helfer. Sie nahmen die beiden an diesem Weihnachtsabend mit in ihre Heimat. Dort wurden sie in die Werkstatt geschickt, wo sie von da an ein Geschenk nach dem nächsten produzierten, stets darauf bedacht, es besser zu machen als der andere.
Bis heute sind sie dort geblieben. Nur der Weihnachtsmann bereist die Erde jedes Jahr wieder und erfüllt den Kindern ihre Wünsche.